„Manchmal fühlt man sich wie im falschen Film.“ Diesen Satz hört man oft die Tage – auch von Studierenden und Professoren.
Der „falsche Film“? – Man liest, dass auf den Streaming-Plattformen Pandemie-Movies boomen, Werke wie „Contagion“ oder „Outbreak“ und die Hartgesottenen die Endzeitstimmung von „28 Days Later“ lockt. Der zuletzt genannte Film handelt übrigens von erstaunlich schnellen Veränderungen – und davon, wie ein Virus, die Gesellschaft und das Zusammenleben gefährdet und letztlich in die Katastrophe führen kann. Das spiegelte Ängste und rückte einem in den letzten Wochen und Monaten näher, als einem lieb war.
Dazu ein Bild, ein Meme via Social Media: Da hatte sich einer in den Zeiten von Lockdown und Quarantäne den Schriftzug „Directed by David Lynch„ von innen auf die Fensterscheibe geklebt. Ab dann sei endlich alles klar gewesen. Immer wenn man raus gesehen habe, auf leere Straßen und Menschen in Masken, habe man verstanden: „Na klar, man lebt in einem surrealen Thriller und begreift nur wenig.“
Einerseits: Eine völlig neue, verwirrende, teils auch gefährliche Situation. Einschränkungen. Belastungen. Andererseits: Versuche, damit umzugehen, vielleicht sogar, trotz alledem das Beste draus zu machen. Aber was hat das mit einem Design-Studium oder gar unserer Fakultät zu tun?
Viel zu nah dran – auch die Studierenden
Man las oder hörte von China, einem Marktplatz in Wuhan. Plötzlich auch von Europa, vom Norden Italiens und schließlich Südtirol. Menschen starben. Und die italienische Regierung traf harte Maßnahmen, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen und die Infektionsrate zu senken. Aber das war eben nicht nur irgendeine Meldung in den Nachrichten, das traf auch Leute, die wir kennen.
Martin Demetz zum Beispiel, gebürtiger Südtiroler aus Gröden und Design-Studierender an unserer Fakultät. Denn in den Semesterferien war er gerade dann zu Besuch bei seiner Familie, als plötzlich jeder zu Hause bleiben musste und der gesamte Ort, in dem seine Eltern und Geschwister leben, von der Außenwelt abgeschnitten wurde. So errichtete die Polizei Barrikaden auf den Straßen. Und jeder, der sie – aus einem hoffentlich triftigen Grund, wie etwa dem Einkauf von Lebensmitteln – passieren wollte, musste sich mit einem Lasergerät die Körpertemperatur messen lassen. Schon Fieber? Vielleicht ansteckend? Hubschrauber flogen über das Dorf und überwachten die strengen Ausgangsregeln. Zusammen mit den Barrikaden verwandelten sie die Szenerie in eine Kulisse – wie aus einem falschen Film.
Martin Demetz skizziert ein düsteres Bild des Orts, der unter den Folgen der Pandemie zu leiden hatte. „Es gab viele Tote in der Gemeinde. Und ich konnte hautnah miterleben, wie schlimm das Virus ist“, sagt Demetz. Als sich dann noch seine Mutter und sein Bruder ansteckten, war klar, wie ernst die Lage ist. Zum Glück zeigten sie nur wenige Symptome. Sodass sie nun als „Genesene“ gelten und – zumindest eine Zeit lang – immun gegen die Krankheit sind.
Andere Studierende hat die Krise ebenfalls getroffen, auch wenn es hier nicht gleich um Leben oder Tod ging. Einfluss hat sie dennoch genommen. Luca Gruber, Studierender, unter anderem im Modul Film & Animation, war gerade auf der Zielgerade seines Pflichtpraktikums. Er arbeitete bei ARRI Rental, einem der größten Verleiher für Film- und Kameratechnik der Welt, als das Coronavirus zu grassieren begann.
Gruber konnte miterleben, wie die Filmindustrie langsam aber sicher zum Erliegen kam. Neuaufträge gab es keine mehr, weil es keine Drehs mehr gab. Glücklicherweise konnte er sein Praktikum gerade noch abschließen. Aber auch sein Studenten-Job als Verleiher bei ohmrental – der Ausleihe von Equipment an unserer Fakultät – wurde plötzlich nicht mehr gebraucht. Denn die Hochschule durfte nicht mehr betreten und damit auch nichts mehr herausgegeben werden. Man liest, ein Personaldienstleister habe Studierende in ganz Deutschland befragt – und rund 40 Prozent hätten in der Krise ihren Job verloren.
Und dann das Studium selbst … ein neuer Studien-Alltag: Virtueller Unterricht, HFD-Mattermost, Zoom … Skripte als Einträge in einem neuen Designers‘ Wiki oder durch pdfs … Screensharing … digitale Whiteboards und geschwenkte Handy-Kameras … Yamdu … Troubleshooting am Telefon … und viele, viele Mails …
Wie Fakultät und Module reagierten
Die Dekanin der Fakultät, Professor Christine Albert, meint dazu: „Im Hintergrund waren tricky things zu bewältigen.“ – Überhaupt, so Albert, sei „Bewältigung“ ein gutes Wort und der richtige Begriff für den Umgang mit einer Höheren Gewalt wie dieser Krankheit. – „Jeder Professor, jeder Lehrbeauftragte und Mitarbeiter sah sich mit neuen Aufgaben konfrontiert. Ob Studienbüro oder Verwaltung überall war etwas zu tun. Selbstverständliche und gut eingeführte Abläufe mussten plötzlich neu bewertet und auf den Prüfstand gestellt werden: Abstandsregeln, Hygiene-Vorschriften für alle Fakultätsmitglieder, Verzicht auf Präsenzunterricht, geschlossene Labore, verworfene Pläne und neue Termine …“
Und weiter erzählt sie: „Alles war in einem dauernden Update, ob nun durch Beschlüsse des Ministeriums oder der Hochschulleitung. Oft war die Rede davon, „auf Sicht“ zu fahren oder zu fliegen. Und vieles musste einfach schnell passieren. Neue Verfahren wurden und werden entwickelt. Man war nicht mit allem zufrieden, manches tat weh. Aber vieles lief auch erstaunlich rund. Vor allem arbeiteten alle gut zusammen. Und man weiß noch nicht, ob und wie manch neues bleiben wird, zum Beispiel die digitale Bewerbung um einen Studienplatz.“
Es hat sich einiges geändert. Vieles wurde neu justiert, manches eingeschränkt. Es wurden aber auch Chancen ergriffen. Ein paar Beispiele für unterschiedliche Strategien und Ansätze aus den Modulen …
In einer kurzen Mail erzählt Professor Krüll, dass Zoom gar nicht so schlecht sei und in Grafik Design auch im aktuellen Semester ganz tolle Arbeiten entstünden.
„Kreativität und Witz waren immer noch da“, sagt Professor Ackermann, der das Experiment wagte, Verbale Kommunikation nur via Text-Chat zu unterrichten: „Denn schließlich geht es in meinem Modul ja um Sprache!“ Und: „Texte kann man auch bei geringer Bandbreite oder schlechter Internetverbindung nutzen.“ – Dabei hat ihn gefreut, wie konzentriert und engagiert sich die Studierenden zeigten. Wie hoch der Bedarf nach Austausch und Input war, erwies sich für ihn auch darin, dass kaum jemals einer fehlte und alle nahezu „unheimlich pünktlich“ gewesen seien.
Professor Schenker, verantwortlich für das Modul Illustration, bot sogar Fächer wie Aktzeichnen, Drucken und die Grundlagen des Zeichnens online an. Zusätzlich konnte sie Johannes Stahl dafür gewinnen, den Risographen im Druck-Labor am Laufen zu halten. Allein printete er die Arbeiten der Studierenden und stellte sie ihnen dann zur Verfügung.
Und Professor Ebnöther von CGO hat zusammen mit Steve Wühr und Friedrich Ott in den Laboren der Fakultät – mittels Laser-Cutter und 3D-Druck – Projekte der Studierenden hergestellt und ihnen dann per Post zugeschickt. Während die 3D-Printer der Fakultät gleichzeitig noch Masken für medizinisches Personal ausgaben.
Sicher taten sich manche Module schwerer als andere, mit der Situation umzugehen, weil sie mehr oder weniger abhängig sind von Nähe und Kontakten, direktem Umgang, Räumen und Geräten, weil sie Equipment und Werkstätten brauchen. Und das differierte auch von Aufgabe zu Aufgabe, von Semester zu Semester.
So räumt Professor Jostmeier, CGI, ein, dass in solchen Fällen auch Kriterien angepasst werden mussten: „Am Ende können wir nicht alle Arbeiten und Projekte genauso bewerten, wie es im normalen Hochschulbetrieb der Fall wäre. Dazu hatten die Studierenden zu wenige Hilfsmittel und Labore, wie etwa das CGI-Lab und seine Rechner zur Verfügung. Aber die Ideen und Konzepte kann man sehr wohl beurteilen.“
Zudem sieht Jostmeier auch einen klaren Vorteil im digitalen Unterricht. Nämlich darin, schnell mal Persönlichkeiten aus der Industrie zuschalten und kleine Workshops durchführen zu können. So konnte er relativ schnell Experten einladen, wie etwa: Uli Staiger, Fotograf, Bildbearbeiter und Composing, CG-Artist, Trainer und Buchautor; Tom Striewisch oder Manuel Casasola Merkle, Mitgründer von Aixsponza. „Das ist“, so Professor Jostmeier, „eine einmalige Chance für die Studierenden, mit derart erfahrenen Leuten in Kontakt zu treten.“
Dass die Krise auch ein paar positive Auswirkungen hatte … das beurteilt Professor Zitzmann, Interaktionsdesign, ebenso: „Mir fiel bei einigen, eher introvertierten Individuen auf, dass sie konzentrierter lernten. Sie arbeiteten erfolgreicher. Und ihnen schien die Chatform mehr zu liegen. Vielleicht, weil sie sich so ihre Beiträge in Ruhe überlegen konnten“, schlussfolgert Zitzmann. „Und auch die Formen des Feedbacks, die online üblich sind – also: digitale Umfragen oder „Handzeichen“ – fielen ihnen leichter, als sich, wie sonst, aktiv zu Wort zu melden.“ – Und dann ergänzt er noch: „Tutorials per Video – anstatt live – kann man jederzeit abrufen, und auch mal anhalten oder zurückspulen, und so an das eigene Lerntempo anpassen. All diese guten Entwicklungen würde ich persönlich gerne hinüberretten in eine „Zeit nach Corona“.“
Dass so ein aufwändiges Modul wie Film & Animation auch unter diesen besonderen Bedingungen gut funktionieren konnte, war – so urteilt der Studierende Luca Gruber – „… vor allem auf Kontakte von Professor Schopper zurückzuführen, der selbst bei ARRI arbeitet und Zugriff auf die professionelle Filmproduktions-Management-Plattform Yamdu hat.“ Mit Yamdu („Vom First Draft zum Final Cut“) war es möglich, Ideen zu generieren, Storyboards hochzuladen und sich auf der Plattform miteinander zu besprechen. Alles, was das konkrete Drehen von Realfilmen betrifft, konnte man ohnehin nicht umsetzen. Aber so war der Übergang zum virtuellen Unterricht zu schaffen. In einem Interview mit dem Fach-Magazin DIGITAL PRODUCTION erklärt das Team rund um Professor Schopper, Steve Wühr, Garri Steba und Alexander Wexler ganz genau, wie das Semester so ablief. Und das Magazin sah darin ein Muster-Beispiel digitaler Lehre.
Luca Gruber spricht wahrscheinlich für viele Studierende, wenn er sagt: „Die Isolation engt den Blick schon etwas ein. Die Gedanken sind nicht so frei wie sonst. Aber so ist das, wenn man im falschen Film ist.“ Andererseits konnten die Studierenden dennoch kreativ sein. Und manchmal entstanden sogar Werke, die ohne Corona vielleicht nie hätten geschaffen werden können.
Text: Giuseppe Troiano, Max Ackermann – Fotos: Martin Demetz, Luca Gruber – Illustrationen: Sina Simbürger