Sham Jaff – Die freie Journalistin und Politikwissenschaftlerin beim Designers´Circle

Sham Jaff PortraitDesign und Journalismus? Auf den ersten Blick hat das nichts miteinander zu tun.  Doch bei genauerer Betrachtung fallen einem so einige Gemeinsamkeiten auf. Das fängt schon bei der Auswahl der Schriftart an, die einen großen Einfluss auf das Erscheinungsbild und damit auch auf die zu erreichende Zielgruppe hat. Denn Nachrichtenseiten sprießen wie Pilze aus dem Boden und man muss gleichsam ehrlich und kreativ sein, um die ohnehin schon knappe Aufmerksamkeit der Leser::innen zu gewinnen. Hierbei soll Designthinking helfen. Designthinking ist längst keine Modeerscheinung mehr, sondern redaktioneller Alltag. Es soll dabei helfen, out of the box zu denken und kreative Ideen zu finden, die den Leser in Zeiten von Fakenews und Politikverdrossenheit wieder für Nachrichten begeistern. Und das in jedem Medienkanal. Denn Nachrichten werden längst nicht nur in klassischer Druckform konsumiert, sondern in hybrider Form. So hat jedes namhafte Nachrichtenmagazin einen bunten Mix aus Publikationsformen, die für jeden Leser, das passende Format liefert. Von der Homepage, über die Blogosphäre bis hin zum Youtubekanal. Und Gestalter::innen sollen dabei helfen, das Angebot visuell attraktiv zu gestalten. Aber auch inhaltlich müssen Nachrichten so aufbereitet werden, dass sie möglichst leicht verständlich und ehrlich vermittelt werden. Wie gestaltet man spannende Headlines, wie kreiert man unterhaltsame Bild- und Wortgeschichten? Fragen, auf die man unter anderem im Designstudiengang der TH Nürnberg in den Modulen Verbale Kommunikation, Cast und Interaktionsdesign Artworten findet. Und gerade was den schnelllebigen professionellen Journalismus betrifft, fällt auf, dass Inhalte oft zu komplex dargestellt werden, sodass es den Leser::innen schwerfällt, Zusammenhänge zu erkennen.

What happened last week

Hier setzt die freie Journalistin und Politikwissenschaftlerin Sham Jaff aus Berlin an, die beim Designers´ Circle einen Vortrag über ihre journalistische Tätigkeit gehalten hat. Eine einfache Sprache und verständliche Aufbereitung von Informationen sind für sie eines der wichtigsten Merkmale, die guter Journalismus ausmacht. Als Publikationsform hat sie ein Medium gewählt, das sogar vor dem Internet entstanden ist: E-Mail. Genauer gesagt, den E-mail Newsletter. Neben dem Podcast-Bereich, in dem sie tätig ist, schreibt die 31-Jährige seit 2014 in ihrem englischsprachigen Newsletter „What happened last week?“, den mittlerweile 14000 Abonnenten aus 120 Ländern abonnieren. Der wöchentlich erscheinende Newsletter gibt einen Überblick über die wichtigsten Nachrichten der Welt, lenkt den Blick aber auch auf Themen, „die in den etablierten Medien wenig Beachtung bekommen oder in unserer Medienlandschaft unterrepräsentiert sind“, sagt Sham Jaff in Hinblick auf Themen wie Arm-Reich-Konflikte, Gewalt gegenüber Frauen und der Unterdrückung von Minderheiten.

Diskussion und Austausch

E-Mail als Kommunikationsform klingt etwas altmodisch, bietet gegenüber sozialen Medien aber paradoxerweise den Vorteil zukunftssicher zu sein. Der E-Mail Standard, der älter als das Internetprotokoll selbst ist, hängt nicht von der Ausrichtung einzelner Betreiber von Plattformen ab, die ihre Algorithmen ständig ändern und das „Leseverhalten der Nutzer steuern“, erklärt Sham Jaff ihre Entscheidung. Seit jeher boten E-Mail-Server die Möglichkeit der direkten und barrierefreien Kommunikation von Wissenschaftler::innen und Akademiker::innen. Und es ist gerade dieser direkte Austausch, den die aus dem Irak stammende Kurdin sucht. „Ich lade meine Abonnenten zu einer Diskussion ein und suche den direkten und persönlichen Kontakt“.

Neutralität bei heiklen Themen

Nicht immer sind Nachrichten jedoch wertfrei und es ist nicht immer einfach eine bestimmte Position einzunehmen. „Da versuche ich besonders bei heiklen Themen neutral zu sein, um nicht mit dem Finger auf die ein oder andere Partei zu zeigen, sondern Verständnis für die Schmerzen und Sorgen aller Beteiligten zu zeigen. Ich versuche immer meine Position, als Verfasserin von Nachrichten zu hinterfragen, der leicht eine Deutungshoheit beanspruchen kann. Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass der Dialog beendet ist, nur weil ich etwas darüber geschrieben habe. Ich möchte zeigen, dass ich noch für ein Gespräch zu haben bin und versuche zu vermeiden, dass sich jemand seiner Meinung beraubt fühlt. Ich kann meine Meinung schließlich auch ändern“, erläutert sie weiter.

Reizüberflutung und begrenzte Aufnahmefähigkeit

Doch nicht nur heikle Themen stellen eine Gefahr dar, sondern auch die schiere Masse an Nachrichten, die langfristig zur (Reiz-)Überflutung führt. „Die Art und Weise, wie wir Nachrichten lesen, hat sich grundlegend geändert. Wir nehmen die schiere Masse an Nachrichten nur noch irrational auf, weil wir schlicht und ergreifend überfordert sind. Die unendlich erscheinende Anzahl an Informationen steht einer begrenzten Aufmerksamkeit des Menschen entgegen.“ Mal abgesehen davon, dass der Wahrheitsgehalt von Nachrichten nur schwer zu ermitteln ist, wie man vor allem gerade im Anbetracht aktueller asymmetrischer Kriegsführung beobachten kann. Hierbei werden neben konventieller Kriegsführung mit Waffen und schwerem Gerät auch Mittel zur Desinformation und Irritierung eingesetzt.

Entschleunigung und Reduzierung

Entschleunigung hilft: Das gilt auf der einen Seite für den Nachrichtenkonsum, den sich die Leser::innen ausgesetzt fühlen, aber auch auf Seiten der Redakteur::innen, die unter Dauerstress und Druck leiden, ständig etwas Neues berichten zu müssen. So kann sie sich den Luxus leisten, erst einige Wochen später über ein Ereignis zu schreiben und sieht sich nicht der Notwendigkeit der tagesaktuellen Berichterstattung der großen Medienhäuser ausgesetzt.  „Und wenn es wirklich schwierig ist on track zu sein, verfüge ich über ein sehr großes Netzwerk an Journalist::innen, die vor Ort aktiv sind und eine unglaubliche Arbeit leisten. Falls ich über ein bestimmtes Thema nicht genug Informationen haben, kann ich ihnen Fragen stellen und dadurch herausfinden, was gerade passiert ist“, stellt sie erleichtert fest.

Design und Journalismus

Wer sich näher für Nachrichten interessiert oder sich erst neu mit der Thematik beschäftigt, empfiehlt sie die Lektüre von Alain de Botton´s Standardwerk „News“, das einen sehr guten Einstieg in das Feld der Nachrichten bietet. Und wer Interesse an Nachrichten hat, die in unserer westlichen Medienlandschaft unterrepräsentiert sind und vor allem gerne darüber diskutieren möchte, dem sei ihr Newsletter what happened last week zu empfehlen. Er ist kostenlos und werbefrei. Sham Jaff freut sich aber gerne über jede Spende. Auch zum Thema Design und Journalismus gibt es die ein oder andere Lektüre. Zu erwähnen sei vor allem das Buch „Journalistische Kreativität“ von Jens-Uwe Meyer, der Kreativtechniken und Denkstrategien für die journalistische Arbeit vorschlägt und zeigt, wie man journalistische Themen immer wieder neu und anregend gestalten kann.

Sham Jaff war zu Gast im Designers´Circle, dem Gastvortragsformat des DESIGNVEREIN an der Technischen Hochschule Nürnberg. Der Designers´Cicle schlägt mit vier Terminen pro Semester eine Brücke zwischen Studium und Praxis und findet in der Regel an Dienstagen um 19:00 Uhr statt. Aktuelle Informationen gibt es auf www.designverein.net oder auf Instagram unter @designverein.

Text: Giuseppe Troiano, Korrektur: An Nguyen

12. April 2022