Werkschau und Buchvorstellung von Jonathan Danko Kielkowski

Am 5. Dezember 2019 gibt es Bilder von verlassenen Orten zu sehen … Im Rahmen einer Werkschau stellt der Dokumentarfotograf Jonathan Danko Kielkowski auch sein neustes Buch PYRAMIDEN vor. Also auf zu Lost Places, nein, zu Orten im Übergang …

Die Ruine als Kick – Oder: Das Unbehagen an einer geschichtsvergessenen Moderne

Steampunk Romanticism, Ruin Porn, Faszination des Kaputten oder Postapokalyptischer Look, Ästhetik des Verfalls: Solche Begriffe gibt es zuhauf. Und Fotografen haben viele Erklärungen dafür, warum sie sich für verlassene Orte interessieren, jene verwunschenen Stellen, jene Löcher in der Zeit, Bunker, Kliniken, Industriebrachen, die schon lange keine Funktion mehr haben und nun dem Verfall ausgesetzt sind.

Keine Gefahr zu groß, kein Zaun zu hoch, keine Absperrung unüberwindbar … Scheinbar magisch werden sie von diesen Plätzen angezogen, die nicht selten in unmittelbarer Nähe  oder inmitten belebter Städte, aber manchmal auch recht abgelegen vor sich hinvegetieren. Einer dieser Sehnsüchtigen ist ein ehemaliger Studierender unserer Fakultät, Jonathan Danko Kielkowski, ein Dokumentarfotograf.

Zwischen Investigation und Meditation

Für seine Bachelorarbeit kroch er schon durch Nürnberger Bunker, kartografierte akribisch die weitverzweigten Anlagen der letzten Weltkriege und des Kalten Kriegs. Dann besuchte er den stillgelegten Athener Flughafen Ellinikon, stieg in den vor Eschede entgleisten ICE Waggon, dessen geplatzter Radreifen das schwerste Zugunglück der Bundesrepublik ausgelöst hatte, und in das Wrack der Costa Concordia.

Die Concordia … ein Kreuzfahrtschiff, das im Jahr 2012 von Kapitän Francesco Schettino – wohl aus Angeberei – viel zu nah ans Ufer der Insel Giglio gesteuert wurde. Dort prallte es gegen einen Felsen und kenterte schließlich. An Bord waren zu diesem Zeitpunkt über 4000 Menschen, die meisten gerieten in Panik, viele wurden schwer verletzt, 32 starben. Als das Schiff später, im Hafen von Genua, zur Abwrackung stand, nutzte Jonathan Kielkowski die Gunst der Stunde und schwamm in guter alter James Bond-Manier hinüber. An Bord, so der Fotograf, herrschte eine gespenstische Stille.

Bei seinen Erkundungen entstanden  atemberaubende Bilder vom Innern des havarierten Vergnügungsschiffes. Sie zeigen das ganze Ausmaß der Zerstörung, aber auch außergewöhnliche Kulissen in einer Atmosphäre des Verfalls. Die Bilder vermitteln es: Ein Hauch von Horror lag in der Luft … als könne man die Angst der Passagiere spüren. Denn was kurze Zeit vorher noch Spaß machen sollte, barg nun, nach dem Kentern, Panik oder Tod.

Jonathan Kielkowski betreibt so etwas wie eine Spurensuche, ehe alle Spuren verwischt sind. Er will erinnern. Aber die Ruhe und Abgeschiedenheit an diesen verlorenen Orten haben auch etwas Meditatives für ihn.

 

Fotografische Grenzüberschreitungen – oder respektvoller Umgang mit der Geschichte?

Aber wer ist dieser junge Mann? Was sind seine Motive … und was hat es auf sich mit den Orten, die er aufsucht?

Ein Schaulustiger ist er nicht. Gewiss keiner, der nach Sensationen giert. Eher schon ein Detektiv, ein Suchender, ein Archivar. Denn all diese Orte haben eine Geschichte. Und die ist nicht immer offenkundig. Sie will erforscht werden.

„Mir geht es nicht um Nervenkitzel oder Action. Keine Storys, die man an die BILD-Zeitung verkauft. Sondern um den respektvollen Umgang mit der Geschichte und der Zukunft des Ortes.“

Kielkowski investiert viel Zeit, um zu recherchieren. Das aber ist ein echtes Puzzle, das von einem Teil zum nächsten führt, bis sich endlich das ganze Bild erkennen lässt. Dabei geht er mit Sorgfalt vor, möchte er doch ein öffentliches Archiv erstellen, wo sich jeder über die Historie der Gebäude und Anlagen informieren kann, die er besucht, und die sonst in Vergessenheit geraten würden.

Orte im Wandel der Zeit – am Beispiel der Siedlung Pyramiden

Und einen Begriff mag er in diesem Zusammenhang überhaupt nicht gerne hören, den üblichen, häufig verwendeten … Lost Places. Denn was wäre hier „verloren“? Er selbst nennt dergleichen lieber: Orte in einem „undefinierten Zwischenstand“. Denn oftmals ist nicht klar, was eine spätere Nutzung sein könnte.

So werden auch lange keine Ortsdaten oder Adressen verraten, sondern geduldig abgewartet, bis eine neue Bestimmung bekannt gegeben wird. Denn zu groß wäre die Gefahr, dass vorher randaliert wird, dass Vandalen kommen und alles zerstören.

Auch so bei seinem letzten Coup: Hierfür besuchte er Pyramiden. Die Siedlung liegt auf der arktischen Insel Spitzbergen, rund um ein ehemaliges sowjetisches Kohlebergwerk. Heute ist sie kaum mehr wiederzuerkennen, kaum noch bewohnt. Als wichtiger ehemaliger Außenposten der Sowjetunion auf NATO-Territorium wurden hier im Kalten Krieg noch Rohstoffe abgebaut. Aber in Zukunft sollen Touristen – ganz sprichwörtlich – „die Kohle bringen“.

„Während mein erstes Buch CONCORDIA einen untergegangenen Vergnügungsort beschreibt, widme ich mein zweites Buch PYRAMIDEN einem untergegangenen Ort, der auf dem Weg ist, zu einem Vergnügungsort zu werden.“

Auf langen Märschen durch eine Geisterstadt, bewohnt von Möwen, Eisbären und zurückgelassenen Katzen, entstand ein Künstlerbuch der ganz besonderen Art, das von Prof. Dr. Christoph Schaden herausgegeben wurde.

Übrigens: Mittlerweile wird Kielkowski von Firmen engagiert, um Areale zu dokumentieren, bevor ehemals verlorene Orte einer anderen Aufgabe zugeführt werden …

Vorgestellt wird das neue Buch PYRAMIDEN am 5. Dezember 2019 um 18:00 Uhr im „Stüberl“ der Meistersingerhalle Nürnberg – begleitet von Film, Lesung – und … veganem White Russian, YUNI Gin Tonic und Vibes …

Dazu gibt es auch eine Werkschau. Sie umfasst im Auftrag entstandene Dokumentationen, freie Arbeiten, Fotografien, Filme und Künstlerbücher.

Meistersingerhalle
„Meistersingerstüberl“
Münchner Str. 21
90478 Nürnberg

Text: Giuseppe Troiano, Fotos: Jonathan Danko Kielkowski

30. November 2019